„Der Staat bietet keinen Schutz“

Landkarte von Mexiko in einem temporären Migrant*innencamp in Mexiko-Stadt im November 2018. Foto: ProtoplasmaKid, CC BY-SA 4.0

Interview mit der Migrationsforscherin Ximena Alba über die mexikanische Migrationspolitik

Mexiko ist gleichzeitig Ziel- Transit- und Herkunftsland von Migration. Wie stellt sich die derzeitige Situation von Migrant*innen im Land dar?

Die Lage ist verheerend. Die Rechte von Migrant*innen werden in ganz Mexiko verletzt. Besonders schlimm ist die Situation im südlichen Grenzort Tapachula in Chiapas und entlang der Nordgrenze. Viele haben keinerlei Zugang zu Arbeit oder Wohnraum, selbst wenn sie bereits Asyl beantragt haben. Die Kinder können oft nicht zur Schule gehen. Migrant*innen laufen ständig Gefahr, Opfer des organisierten Verbrechens und von Menschenhandelsnetzwerken zu werden.

Welche Rolle spielt der Staat beim Schutz von Migrant*innen?

Der Staat bietet Migrant*innen keinen Schutz vor dem organisierten Verbrechen. Sie sind dazu gezwungen, gefährliche Gebiete zu durchqueren, weil es ohne legalen Aufenthaltsstatus keine sicheren Wege gibt. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch fragen, welche Rolle der Staat bei der Verletzung von Rechten der Migrant*innen spielt. Im Fall des Massakers von Camargo, bei dem im Bundesstaat Tamaulipas im Januar 2021 insgesamt 19 guatemaltekische Migrant*innen ermordet wurden, waren beispielsweise auch staatliche Kräfte involviert.

Die US-Regierung stellt verschiedene Forderungen an Mexiko, wie etwa die Sicherung der Südgrenze, damit Migrant*innen der Weg in Richtung Norden erschwert wird. Welchen Anteil hat die US-Politik an der Situation in Mexiko?

Der Einfluss ist enorm. Und unter Donald Trump herrschte ein offen rassistischer Diskurs. Die US-Regierung schuf damals die „Migrant Protection Protocols“ (MPP), auch als „Bleib in Mexiko“-Politik bekannt. Seitdem werden die meisten Migrant*innen, die in den USA Asyl suchen, nach Mexiko zurückgeschickt, während sie auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten.

Welche Auswirkungen hat dies?

Durch die MPP wurde Mexiko praktisch zum sicheren Drittstaat erklärt, obwohl die Migrant*innen keine Sicherheit erwarten können. Um Transitmigration in Richtung USA zu unterbinden, hat Mexiko zunehmend die Südgrenze militarisiert, was die Migrant*innen enormen Gefahren aussetzt. Dabei arbeitet das Nationale Institut für Migration mit der militarisierten Guardia Nacional zusammen. Das ist sehr umstritten, denn Migration ist kein Bereich, in dem eine militarisierte Polizei tätig sein sollte.

Was macht die Regierung López Obrador in der Migrationspolitik anders als die vorherigen Regierungen?

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Diskurs und Praxis. Die aktuelle Regierung hat immer davon gesprochen, Migrant*innen mit offenen Armen zu empfangen und auf humanitäre Art und Weise zu behandeln. Dies gilt sowohl für die Nordgrenze, wo Migrant*innen auf ihre US-Asylanträge warten, als auch an der Südgrenze. Auf die erste große Karawane von Migrant*innen aus Zentralamerika nach der Amtsübernahme von López Obrador hat die Regierung tatsächlich gut reagiert. Sie hat zum Beispiel sehr viele temporäre Aufenthaltstitel ausgestellt. Von dieser Herangehensweise ist aber nichts übrig geblieben. Jenseits des humanitären Diskurses agiert die Regierung gegenüber den Migrant*innen immer repressiver.

Interview: Tobias Lambert

Ximena Alba ist Post-Doc an der Freien Universität (FU) Berlin. Sie arbeitet in dem Forschungsprojekt Forced Migration and Organized Violence (ForMOVe), das die Verbindungen zwischen organisierter Gewalt und erzwungener Migration global vergleicht. Kürzlich war sie für einen längeren Forschungsaufenthalt an der Süd- und der Nordgrenze Mexikos unterwegs.

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Ximena Alba nimmt auf der Tagung „Menschenrechte in Mexiko“ am 1.April an Panel 2 teil. (Migration und Militarisierung: Repression statt Schutz der Migrant*innen)

Anmeldung: on.boell.de/mexiko

Infos und Programm: https://www.mexiko-koordination.de/2022/02/28/online-tagung-menschenrechte-in-mexiko/?l=de

Fotoquelle: ProtoplasmaKid, CC BY-SA 4.0, Caravana Migrante en la Ciudad de México

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