Umstrittene Megaprojekte

Protest in Mexiko-Stadt gegen die Umweltauswirkungen der geplanten Megaprojekte 2019 (Foto: Francisco Colín Varela, CC BY 2.0)

Mexikos Präsident López Obrador verspricht mit prestigeträchtigen staatlichen Bauvorhaben Entwicklung. Daran gibt es Kritik.

Von Gerold Schmidt

Mit seinem Amtsantritt Ende 2018 kündigte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) vier von staatlicher Seite angestoßene, milliardenschwere Megavorhaben an. Seinen Vorstellungen nach sollen diese Entwicklung, Modernisierung und Arbeitsplätze bringen. Die Rechtfertigungen unterscheiden sich wenig von den Versicherungen seiner neoliberalen Vorgänger. Trotz teilweise heftiger Kritik hält López Obrador bis auf kleine Änderungen unbeirrt an diesen Projekten fest, in denen er sein politisch-wirtschaftliches Vermächtnis sieht. Das Projekt, das dabei noch am wenigsten in der Kritik steht, ist der Ausbau des bestehenden Militärflughafens von Santa Lucía im Einzugsbereich der Hauptstadt zum internationalen Großflughafen. López Obrador hatte gleich zu Beginn der Regierungsperiode den umstrittenen Flughafenneubau seines Vorgängers Enrique Peña Nieto im Einzugsbereich des Texcoco-Sees gestoppt. Dieses Projekt war gegen den Widerstand vieler Gemeinden durchgesetzt worden und buchstäblich auf Sand und Sumpf gebaut. Nun soll der nationale und internationale Flugverkehr in der Hauptstadtregion im Wesentlichen zwischen dem bestehenden internationalen Flughafen von Mexiko-Stadt und dem Flughafen Felipe Ángeles in Santa Lucía aufgeteilt werden. Die ersten regelmäßigen zivilen Flüge sind bereits ab Ende März/Anfang April vorgesehen. Eine unzureichende öffentliche Verkehrsanbindung sowie noch nicht vollständig geklärte Probleme der Flugsicherheit könnten den Erfolg dieses Projektes noch nachhaltig in Frage stellen.

Das zweite staatliche Großprojekt ist der Bau der Ölraffinerie Dos Bocas (offiziell Raffinerie „Olmeca“) in López Obradors Heimatbundesstaat Tabasco. Sie befindet sich in unmittelbarer Nähe des gleichnamigen Hafens an der mexikanischen Golfküste. Dos Bocas steht für das erklärte Ziel des Präsidenten, das immer noch ölreiche Mexiko unabhängig von Benzinimporten aus den USA zu machen und den hochverschuldeten staatlichen Ölkonzern Pemex zu stärken. Die Raffinerie ist aber ebenso ein Symbol für eine Politik, die kommenden Jahre eindeutig auf einen klimafeindlichen fossilen Brennstoff als Energieträger zu setzen. Den erneuerbaren Energien räumt die amtierende Regierung nur nachrangige Bedeutung ein. Dos Bocas machte zuletzt durch intergewerkschaftliche Auseinandersetzung und den Vorwurf unbezahlter Überstunden für die Arbeiter*innen von sich reden. Umweltschützer*innen befürchten, dass die von potenziellen Überschwemmungen bedrohte Raffinerie anfällig für Umweltkatastrophen ist. Noch in diesem Jahr soll die Raffinerie den Betrieb aufnehmen.

Gegenwind auf der Schiene

In der Öffentlichkeit besonders präsent und vielfach kritikbehaftet sind die Megaprojekte des interozeanischen Korridors und des sogenannten Maya-Zuges. Der Korridor verläuft vom pazifischen Ölhafen Salina Cruz (Bundesstaat Oaxaca) über den Isthmus von Tehuantepec durch nahezu unberührte Regenwaldgebiete zum Ölhafen Coatzacoalcas an der Atlantikküste im Bundesstaat Veracruz. Blaupausenartig hat die Regierung López Obrador seit Jahrzehnten bestehende Pläne aufgenommen. Vorgesehen sind unter anderem: Der Ausbau der beiden Küstenhäfen, die Modernisierung und Zweigleisigkeit der bisher nur eingleisigen, 308 Kilometer langen Bahnstrecke, der Ausbau der weitgehend parallel zur Bahn verlaufenden einspurigen Bundesstraße M-185 sowie die Instandsetzung der zubringenden Landstraßen. Hinzu kommen der Bau einer Gaspipeline und als wesentlicher Bestandteil die Ansiedlung von insgesamt zehn Industrieparks, die „Entwicklungspole für den Wohlstand“ genannt werden. Die Oberaufsicht über den interozeanischen Korridor und die Verwaltung der Häfen wird Aufgabe der Marine sein.

Regierungsvertreter*innen rechtfertigten das Großprojekt wiederholt damit, eine der „rückschrittlichsten Regionen“ Mexikos zu entwickeln. Doch gerade viele indigene Gemeinden, deren Territorien im Isthmus von Tehuantepec liegen, wollen sich ihre vermeintliche Rückschrittlichkeit nicht nehmen lassen. Anfangs schlug die Regierung vor, die Gemeinden sollten ihr Land für die Industrieansiedlungen verpachten, um regelmäßige Einnahmen zu erzielen. Nun versucht sie, die Gemeinden vom Verkauf zu überzeugen. Diese blockierten mehrfach Vermessungen und vertrieben Bauarbeiter aus ihren Territorien. Ein stark erweiterter Güterverkehr sowie die Einrichtung der Industrieparks würden die sozioterritoriale Bevölkerungsstruktur der Region enorm verändern. Sich ansiedelnde Migrant*innen, zuziehende Arbeiter*innen aus anderen Regionen Oaxacas sowie lokale Dorfbewohner*innen, denen die Lohnarbeit attraktiver erscheinen mag als die eigenen Felder zu bewirtschaften, würden den Alltag der Gemeinden und Kleinstädte radikal transformieren. Die Region weist noch eine enorme Biodiversität auf. Mit den Chimalapas befindet sich dort eines der letzten zusammenhängenden Urwaldgebiete Mexikos. Gleichzeitig richtet das extraktivistische Kapital schon lange seinen Blick auf den Isthmus.

Das Projekt des „Maya-Zuges“ auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán weist einige Parallelen zum interozeanischen Korridor auf. Bei ihm wird allerdings nicht die industrielle, sondern die touristische Entwicklung in den Vordergrund gestellt. Auch mit diesem Vorhaben steht die territoriale Neuordnung eines riesigen Gebietes bevor. Reaktivierte Gleisstrecken sowie drei lange Neubau-Abschnitte unterteilt in Golf-, Karibik- und Regenwaldzone, sollen sich zu einem 1500 Kilometer langen Schienennetz auf der Halbinsel (mit den Bundesstaaten Yucatán, Quintana Roo, Campeche) sowie den Bundesstaaten Chiapas und Tabasco zusammenfügen. Jährlich sollen bald mehrere Millionen Tourist*innen mit einer angepeilten Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern über die Route geschleust werden.

Neue Befugnisse für das Militär

Wie beim interozeanischen Korridor ist das Militär für den Bau mehrerer Streckenabschnitte zuständig. Die Liste der Bedenken gegen den Maya-Zug ist lang. Zum einen aus ökologischer Sicht, da im Abschnitt durch den Regenwald kräftig gerodet wird. Ein weiterer Einwand: Der poröse Karstboden könnte einer Dauerbelastung durch die Bahnstrecke nicht standhalten. Die enormen Grundwasserreserven auf der Halbinsel sind durch ein einzigartiges unterirdisches Fluss-System verbunden. Wasserverschmutzungen durch Bevölkerungs- und Industrieansiedlungen im Kontext des Vorhabens könnten sich schnell über ein weites Gebiet ausweiten. Die Beispiele Cancún, Playa del Carmen und Tulum zeigen: Die touristische Entwicklung kann aus kleinen Gemeinden innerhalb weniger Jahrzehnte zum Teil unkontrollierbare Städte machen. Wie bei Dos Bocas und dem interozeanischen Korridor wird offen ausgesprochen, dass die „Entwicklung“ der Region durch den Maya-Zug auch dazu dienen soll, die Migrationsbewegungen Richtung USA aufzuhalten.

Widerstand gegen den Maya-Zug gibt es in vielen organisierten Gemeinden. Diese haben Streckenverlegungen und Baustopps erreicht. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Maya-Zug auch Zuspruch vor Ort erfährt. Die pikante Note aus deutscher Perspektive ergibt sich durch die Beteiligung der Deutschen Bahn über ihre DB Consulting & Engineering. Das Auftragsvolumen von 8,6 Millionen Euro ist zwar gering. Doch als sogenannter Schattenbetreiber im Zeitraum 2020 bis 2023 interveniert die Deutsche Bahn durchaus stark auf zukünftige Betriebsabläufe.

López Obrador wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass seine vier Vorzeigeprojekte bis Ende 2023 voll betriebsbereit sein müssen. Das ist ein politisches Datum. Spätestens ab Januar 2024 wird der Wahlkampf für die allgemeinen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2024 voll entbrannt sein. Der aktuelle Präsident rechnet unter dem Strich fest mit einem positiven Stimmeneffekt seiner Großvorhaben. Ökologie und die Rechte direkt betroffener Gemeinden bleiben beim interozeanischen Korridor und dem Maya-Zug wortwörtlich „auf der Strecke“. Im Kontext der Megavorhaben hat der Präsident die mexikanischen Militärs mit einer gefährlichen zivilen Machtfülle ausgestattet, die in der jüngeren politischen Geschichte Mexikos beispiellos ist.

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Jenseits der Megaprojekte nutzen transnationale Konzerne nach wie vor die niedrigen
Umweltstandards in Mexiko aus. Auf der Tagung „Menschenrechte in Mexiko“ werden wir uns in dem Themenbereich „Wirtschaft & Menschenrechte“ mit der Verschmutzung am Río Atoyac in den Bundesstaaten Tlaxcala und Puebla beschäftigen. Mehr als 20.000 Unternehmen der verarbeitenden Industrie sind in dem Gebiet angesiedelt, darunter auch deutsche Firmen wie VW, Bayer oder BASF.

Anmeldung: on.boell.de/mexiko

Hier finden Sie das vollständige Programm der Mexiko-Tagung als pdf.

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