Verschwindenlassen

Von Verschwindenlassen spricht man, wenn Menschen durch Bedienstete des Staats oder durch Personen, die mit staatlicher Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung handeln, ihrer Freiheit beraubt werden. Das weitere Schicksal der Opfer wird von den Täter*innen verheimlicht, was sie jeglichem gesetzlichen Schutz entzieht. Für die Angehörigen bedeutet das eine quälende Ungewissheit über das Schicksal ihrer Liebsten.

In Mexiko hat diese Praxis einen lange Tradition: Bereits Ende der 1960er bis Mitte der 1980er Jahre, in der Zeit des sogenannten „Schmutzigen Krieges“, ließen staatliche Sicherheitskräfte Menschen verschwinden. Hintergrund war die Repression gegen Oppositionsbewegungen und Guerillagruppen. Zu einem geradezu explosiven Anstieg der Verschwundenenzahlen kam es ab 2006,  als der damalige Präsident Felipe Calderón den Drogenkartellen den Krieg erklärte und die Armee in verschiedene Regionen des Landes entsendete. Fälle wie das Verschwinden der 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa im Jahr 2014 und der Fund klandestiner Verbrennungsöfen mit menschlichen Überresten in Teuchitlán, Jalisco, 2025 haben inzwischen auch der internationalen Öffentlichkeit bekannt gemacht, worauf mexikanische Menschenrechtsorganisationen seit vielen Jahren aufmerksam machen.

Über 125.000 Verschwundene

Mexiko ist der UN-Konvention gegen Verschwindenlassen beigetreten und hat sie 2008 ratifiziert. Damit verpflichtet sich das Land nicht nur, Verschwindenlassen unter Strafe zu stellen. Es muss auch vorbeugende Maßnahmen treffen und erkennt die Rechte der Angehörigen von Verschwundenen auf Wahrheit und Wiedergutmachung an. Trotz dieser Verpflichtungen findet Verschwindenlassen in Mexiko heute systematisch statt.

Mitte des Jahres 2025 gab es in Mexiko nach offiziellen Zahlen über 125.000 verschwundene Personen. Zivilgesellschaftliche Organisationen gehen demgegenüber von einer hohen Dunkelziffer aus. Von den Behörden alleingelassen müssen die Angehörigen der Verschwundenen tagtäglich mit der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Liebsten zurechtkommen. Kaum ein Fall wird strafrechtlich verfolgt. Die Angehörigen suchen und kämpfen meist allein für die Aufklärung und Wahrheit. Dabei werden sie von staatlichen Stellen nur unzureichend geschützt und unterstützt. Stand Juni 2025 wurden seit dem Jahr 2019 mindestens 17 Angehörige von Verschwundenen ermordet.

Gesetz gegen das Verschwindenlassen: Errungenschaft der Zivilgesellschaft

Den suchenden Familien, die sich in Kollektiven zusammengeschlossen haben, sowie  mexikanischen Menschenrechtsorganisationen ist es zu verdanken, dass Mexiko im Jahr 2017 ein allgemeines Gesetz gegen das Verschwindenlassen verabschiedete. Dieses legt verbindliche Verfahrensweisen für die Suche nach Verschwundenen fest und schuf eine Reihe neuer Institutionen wie Suchkommissionen und Sonderstaatsanwaltschaften. Eine forensische Datenbank und spezialisierte forensische Einrichtungen sollen zudem die Identifizierung von inzwischen mehr als 70.000 unbekannten Leichen und Überresten vorantreiben. 

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Angehörige setzen sich seither dafür ein, dass das Gesetz effektiv umgesetzt und mit entsprechenden finanziellen und operativen Mitteln ausgestattet wird. Eine beständige Herausforderung bleibt, dass der Staat das Ausmaß der Krise des Verschwindenlassens und insbesondere die staatliche Beteiligung daran öffentlich häufig herunterspielt und die Taten allein kriminellen Netzwerken und Organisationen zuschreibt.

Die Mitgliedsorganisationen der Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko haben sich zum Ziel gesetzt, das Thema Verschwindenlassen mit all seiner Komplexität in die deutsche und europäische Öffentlichkeit zu tragen. Wir greifen die Anliegen der Angehörigen auf und wollen Politiker*innen zum Handeln bewegen. Dies geschieht durch gezielte Lobbyarbeit, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Deutsche Menschenrechtskoordination hat eine Reihe von Veranstaltungen zu dem Thema organisiert und Informationsmaterial erarbeitet.

 „‘Verschwindenlassen’ [bedeutet] die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.”

UN-Konvention gegen Verschwindenlassen (Artikel 2)

Pressemitteilung: Migrant*innen schützen, statt kriminalisieren

"Migration ist ein Menschenrecht": Denkmal an das Massaker von San Fernando, 2011. Foto: EneasMx | CC BY-SA 4.0

Zum zweiten Jahrestag des Brands in einer Haftanstalt in Ciudad Juárez, bei dem 40 Migranten ums Leben kamen, warnt die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko vor den Folgen einer inhumanen Migrationspolitik an der Grenze zwischen Mexiko und den USA.

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Menschenrechtspolitik konkret: Aide-Mémoire 2024

Wo sind sie? Die Suche nach über 114.000 Verschwundenen bleibt weiterhin eine der größten menschenrechtspolitischen Herausforderungen in Mexiko. (Foto: Sandra Suaste/Red TdT)

Analyse zur Menschenrechtsproblematik in Mexiko sowie Empfehlungen an die deutsche Politik anlässlich des Treffens des Forum Menschenrechte mit Außenministerin Annalena Baerbock am 27. August 2024.

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Pressemitteilung: Die Suche muss intensiviert werden

https://desinformemonos.org

Vor einem Jahr verschwanden in Mexiko Antonio Díaz und Ricardo Lagunes. Angehörige und Menschenrechtsorganisationen fordern die Einrichtung eines internationalen Suchmechanismus.

— Pressemitteilung von Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko und Koalition gegen Verschwindenlassen —

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Pressemitteilung: Kein Schlussstrich

Foto: DMRKM / Tobias Lambert

Vor neun Jahren verschwanden die 43 Studenten aus Ayotzinapa. Das Verbrechen muss aufgeklärt werden. Berlin, 21. September 2023. Noch immer warten die Angehörigen auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Auch neun Jahre nach dem gewaltsamen Verschwindenlassen von 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa ist der Fall nicht vollständig aufgeklärt. Vom 26. auf den 27. September 2014 hatte die örtliche […]

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Rundreise: Narrative von unten – Geschichten und Erinnerungen an das Verschwindenlassen in Mexiko

Deutschlandtour von Voz de los Desaparecidos en Puebla und Técnicas Rudas vom 22.09. – 15.10.2023 mit Stationen in Berlin, Leipzig, Hamburg, München und Hannover Weit über hunderttausend Menschen gelten in Mexiko als verschwunden. Hinter der unfassbaren Zahl verschwindet auch das Schicksal der einzelnen, ihrer Familien, Freund:innen und Gemeinschaften, ihrer Kämpfe, Träume, Sehnsüchte und Zukunftspläne. Und […]

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In Mexiko verfolgt – in Deutschland geehrt

Marcela Turati (Foto: Mónica González Islas)

Die Verleihung der Theodor Heuss Medaille an die Investigativjournalistin Marcela Turati setzt ein Zeichen für die Pressefreiheit — Pressemitteilung von Brot für die Welt und Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko — Berlin, 10. Mai 2023. Am 13. Mai erhält die mexikanische Investigativjournalistin Marcela Turati „für ihr mutiges demokratiepolitisches Engagement und ihre faktenreichen und gewissenhaft recherchierten Berichte über […]

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Pressemitteilung: Lebend wollen wir sie zurück

https://desinformemonos.org

Die mexikanischen Menschenrechtsverteidiger Ricardo Lagunes Gasca und Antonio Díaz Valencia sind seit einem Monat verschwunden. Menschenrechtsorganisationen fordern, die Suche nach ihnen zu intensivieren. Berlin, 15. Februar 2023. Noch immer fehlt von den beiden Menschenrechtsverteidigern jede Spur: Vor genau einem Monat, am 15. Januar dieses Jahres, verschwanden der Menschenrechtsanwalt Ricardo Lagunes Gasca und der Umweltaktivist Antonio […]

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Pressemitteilung: Mehr als 100.000 Verschwundene

Frauen des Kollektivs "Rastreadoras de El Fuerte" suchen im Bundesstaat Sinaloa nach sterblichen Überresten ihrer Angehörigen. Foto: Florian Kopp/Brot für die Welt

Um gewaltsames Verschwindenlassen wirksam zu bekämpfen, muss Mexiko rechtsstaatliche Strukturen stärken — Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Opfer des Verschwindenlassens am 30. August — Berlin, 29. August 2022. Es war ein Staatsverbrechen. Mitte August erklärte die Wahrheitskommission zum Fall Ayotzinapa in ihrem vorläufigen Bericht, dass Vertreter*innen verschiedener Institutionen an dem gewaltsamen Verschwindenlassen der 43 Studenten […]

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Factsheet: Gewaltsames Verschwindenlassen

Die Angehörigen der 43 verschwunden Studenten aus Ayoptzinapa fordern seit 2014 Aufklärung und Gerechtigkeit. Foto: Ginnette Riquelme / CIDH, CC BY 2.0

Es war ein Staatsverbrechen. Mitte August erklärte die Wahrheitskommission zum Fall Ayotzinapa in ihrem vorläufigen Bericht, dass Vertreter*innen verschiedener Institutionen an dem gewaltsamen Verschwindenlassen der 43 Studenten im September 2014 beteiligt waren. Hinweise darauf, die Studenten lebend wieder zu finden, gebe es keine. Für die Angehörigen ist dies eine schlimme Nachricht. Bisher galt, dass die […]

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Pressemitteilung: Würdigung des Einsatzes gegen gewaltsames Verschwindenlassen in Mexiko

Foto: Melanie Bleil

Deutsch-französischer Menschenrechtspreis für Angehörige von Verschwundenen Gemeinsame Pressemitteilung von Brot für die Welt und Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko Berlin, 24. März 2021. Die Bewegung für unsere Verschwundenen in Mexiko (Movimiento por Nuestros Desaparecidos en México, MNDM) erhält den deutsch-französischen Menschenrechtspreis Gilberto Bosques. Die Mitglieder der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko, darunter Brot für die Welt, begrüßen die Auszeichnung […]

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Sechs Jahre Ayotzinapa: Dolores González (Video)

Vom 26. auf den 27. September 2014 verschleppte die örtliche Polizei in Iguala im südwestlichen mexikanischen Bundesstaat Guerrero 43 Lehramtstudenten aus Ayotzinapa, tötete sechs Menschen und verletzte 40 weitere Personen. Erst von zwei der verschwundenen Studenten wurden die sterblichen Überreste gefunden. Sechs Jahre nach dem gewaltsamen Verschwindenlassen wissen die Angehörigen noch immer nicht, warum das […]

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Pressemitteilung zum 6. Jahrestag von Ayotzinapa– Das Verbrechen muss umfassend aufgeklärt werden

Das gewaltsame Verschwindenlassen von 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa bleibt auch nach sechs Jahren straflos. Durch illegale Waffenexporte nach Mexiko trägt Deutschland eine Mitverantwortung. Stuttgart, 24. September 2020 Es herrscht nach wie vor Ungewissheit. Sechs Jahre nach dem gewaltsamen Verschwindenlassen von 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa wissen die Angehörigen noch immer nicht, warum das Verbrechen begangen wurde […]

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Sechs Jahre Ayotzinapa: Sofía de Robina Castro (Video)

Vom 26. auf den 27. September 2014 verschleppte die örtliche Polizei in Iguala im südwestlichen mexikanischen Bundesstaat Guerrero 43 Lehramtstudenten, tötete sechs Menschen und verletzte 40 weitere Personen. Erst von zwei der verschwundenen Studenten wurden die sterblichen Überreste gefunden. Sechs Jahre nach dem gewaltsamen Verschwindenlassen wissen die Angehörigen noch immer nicht, warum das Verbrechen begangen […]

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„Ich werde dich suchen, bis ich dich finde.“ Gewaltsames Verschwindenlassen in Mexiko (Video)

"Ich werde dich suchen, bis ich dich finde."

Mehr als 73.000 Personen gelten in Mexiko offiziell als verschwunden. Knapp 98 Prozent der Fälle datieren auf die Zeit seit 2006, als der damalige Präsident Felipe Calderón den Drogenkartellen den Krieg erklärte. Familienangehörige leben mit der Ungewissheit über das Schicksal der Verschwundenen. Häufig suchen sie auf eigene Faust nach sterblichen Überresten. So wie Mirna Medina. […]

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Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Verschwundenen am 30. August – Gegen die Straflosigkeit

In Mexiko verschwinden massiv und systematisch Menschen. Angehörige fordern Aufklärung der Verbrechen. Aachen, Berlin, 26. August 2020 Es sind erschreckende Zahlen: Mehr als 73.000 Personen gelten in Mexiko offiziell als gewaltsam verschwunden. Knapp 98 Prozent der Fälle datieren auf die Zeit seit 2006, als der damalige Präsident Felipe Calderón den Drogenkartellen den Krieg erklärte. Expert*innen […]

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Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai: Gefährlicher Journalismus

In Mexiko bedrohen sowohl das organisierte Verbrechen als auch der Staat die Pressefreiheit Stuttgart, Berlin, 28. April 2020 Als Journalist*in in Mexiko zu arbeiten, kann lebensgefährlich sein. Am 30. März erschossen im Bundesstaat Veracruz Unbekannte María Elena Ferral von der Tageszeitung „Diario de Xalapa“. Am 8. April fanden die Behörden in Acapulco im Bundesstaat Guerrero […]

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Interview mit der Anwältin Sofía de Robina über die Hintergründe des ARD-Films „Meister des Todes 2“

Stuttgart, 28. März 2020. Am 1. April 2020 zeigt die ARD den Spielfilm „Meister des Todes 2“ sowie die Dokumentation „Tödliche Exporte (Teil 2): Rüstungsmanager vor Gericht“. In beiden Filmen steht das Schicksal von Aldo Gutiérrez Solano symbolisch für die Opfer illegaler Waffenexporte von Deutschland nach Mexiko. In der Nacht vom 26. auf den 27. […]

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Pressemitteilung zum 5. Jahrestag von Ayotzinapa: Fünf Jahre Ayotzinapa–fünf Jahre Straflosigkeit

Stuttgart, 25. September 2019 Das Verbrechen an den Lehramtsstudenten von Ayotzinapa ging vor fünf Jahren um die Welt. Die „Nacht von Iguala“ hinterließvom26. auf den 27. September 2014 43 verschwundene Studenten, sechs Menschen wurden ermordet. „Noch immer ist der Verbleib der jungen Männer ungeklärt. Für ihre Familien, ihre Kommilitonen, für die mexikanische Gesellschaft und für […]

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STUDIE: Verschwindenlassen in Mexiko

Mexiko brach im Jahr 2017 einen traurigen Rekord: Über 26.000 Menschen starben eines gewaltsamen Todes, das sind über 70 Menschen am Tag. Ein so gewalttätiges Jahr hat es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben. (PDF)

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Verschwindenlassen

Menschen werden festgenommen oder entführt und tauchen danach nicht mehr auf. Wenn der Staat beteiligt ist – sei es durch seine Sicherheitskräfte oder durch Unterlassung, weil er nichts dagegen unternimmt – dann spricht man vom Verschwindenlassen. Das „Verschwindenlassen“ hat in Mexiko eine traurige Tradition: Bereits Ende der 1960er bis Mitte der 1980er Jahre, in der […]

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